Schweizer Armee: 30 Jahre gemischte Rekrutenschulen

Vor ziemlich genau dreissig Jahren fand die erste gemischte Rekrutenschule statt. Zwar leisten die Frauen bereits seit über 80 Jahren Dienst in der Armee.

Zunächst im Rahmen des Frauenhilfsdiensts, ab 1985 im Militärischen Frauendienst und seit 1995 sind sie den Männern gleichberechtigte Armeeangehörige. Zusammen eine identische Ausbildung zu absolvieren war ein besonderer Meilenstein. Wir gehen mit vier Frauen auf Zeitreise.

„Sie sind volljährig, sportlich, teamfähig und besitzen den Schweizer Pass. Sie wissen, was Sie wollen und haben Lust auf etwas Neues. Sind Sie bereit, in die eigene Zukunft zu investieren und etwas für Ihr Land zu tun? Dann nutzen Sie die Chance Militärdienst.“ So wirbt die Schweizer Armee aktuell mit ihrer Informationskampagne „Sicherheit ist auch weiblich“ um Frauen. Dass Frauen separat ausgebildet werden ist heute unvorstellbar. Gemeinsam von A bis Z durch die Rekrutenschule war die Vision von Brigadier Eugénie Pollak. Sie hat in den 1990er-Jahren die Integration der Frauen in die Armee massgeblich mitgeprägt.

Vorreiterin für Frauen in der Armee

Eugénie Pollak kam früh mit dem Thema Gleichberechtigung in Berührung. Bereits ihre Mutter engagierte sich im Frauenhilfsdienst (FHD) der Armee und kämpfte vehement für das Frauenstimmrecht. Dadurch kommt die Bernerin schon bald zur Haltung, dass eine Frau, die gleiche Rechte habe, auch gleiche Pflichten übernehmen muss. Für sie ein Grund, in die Armee einzutreten. Sie besucht Rekruten-, Unteroffiziers- und die Offiziersschule sowie höhere Lehrgänge. Ab 1989 leitet sie dann im Rang des Brigadiers zehn Jahre den Militärischen Frauendienst (MFD). „Schwierigkeiten, die während meiner Dienstzeit oder später als Chefin Frauen in der Armee auftauchten, waren nicht armeespezifisch, sondern gesellschaftspolitisch und sind es leider immer noch“, resümiert Pollak.

Die volle Integration der Frauen in die Armee hat ihr damals nicht nur Befürworter eingebracht: „Einige Kolleginnen, vor allem Offizierinnen, hatten das Gefühl, ich verrate die Sache der Frauen in der Armee“. Rückblickend ist Eugénie Pollak dankbar und auch ein bisschen stolz, dass sie hartnäckig bis zur erfolgreichen Umsetzung gekämpft hat. Nach ihrem Weggang kam noch die letzte Stufe dazu: Einsatz der Frauen in allen Bereichen, also auch in kombattanten Truppen. Trotz früherer Skepsis ist sie heute der Meinung, dass dieser letzte Schritt richtig war. „Ich freue mich über jede erfolgreiche Frau in der Armee und bin auch etwas stolz, dass ich meinen Teil beisteuern durfte“, sinniert die 75-jährige Eugénie Pollak.

Wenn schon auffallen, dann wenigstens positiv

Oberst ausser Dienst Sibylle Freudweiler-Haab hat 1995 als erste Motorfahrerin den Leutnantsgrad in einer Grenadier- Unteroffizier-/Rekrutenschule abverdient. Die Rekrutenschule absolvierte sie noch beim militärischen Frauendienst (MFD). Die nachfolgenden Dienstleistungen erfolgten in Formationen in identischer Länge mit ihren männlichen Kameraden, wobei sie auch nach Abverdienen des Leutnants oft die einzige Frau war. Natürlich fiel sie dadurch auf, ob sie wollte oder nicht. Das Vertrauen ihrer Vorgesetzten und das Ziel, Frauen vorurteilsfrei in der Armee zu integrieren, spornten sie zum Weitermachen an. Weibliche Angehörige der Armee besonders zu behandeln, auch wenn sie „Einzelfälle“ waren, findet sie störend und nicht zielführend. Sie wollte keine „Quotenfrau“ sein, sondern aufgrund ihrer Leistungen, Fähigkeiten und Erfahrungen beurteilt werden.

Mit einer nur vierwöchigen Rekrutenschule wurde man nicht richtig ernstgenommen

Wenn Wachtmeister ausser Dienst Ursula Heuberger auf ihre Dienstzeit bei den Sanitäts-Logistiktruppen Mitte der 1990er-Jahre zurückblickt, sind ihr geschlechtsspezifische Unterschiede sehr wohl bewusst. Sie persönlich hat es nämlich sehr gestört, dass ihre Rekrutenschule nur vier Wochen gedauert hat. Zwar sei diese sehr intensiv gewesen, aber sie wollte ja nicht schneller ans Ziel kommen. So habe sie dann auch später beim Weitermachen in der neuen und gemischten Formation, zum Beispiel in der Handhabung der Waffen, schon einen Extrazacken zulegen müssen. Oder als sie als Korporal Fachunterricht am Lastwagen vor lauter Männern abhielt, empfand sie das als besondere Herausforderung. Dennoch zeigten sich die Männer mehrheitlich kameradschaftlich. Ursula Heuberger war froh, dass sie beim Abverdienen ohne Extrawurst in der militärischen Gemeinschaft viel besser akzeptiert wurde. Und die Männer gaben in der neuen gemischten Konstellation jeweils gerne zu, dass sich ihr Benehmen und ihr Umgangston mit der Anwesenheit der Frauen stark verbessert hätten. Für Ursula Heuberger ist diese Angleichung der Ausbildungsdauer und Integration nichts anderes als ein weiterer nötiger Meilenstein der Gleichberechtigung gewesen.

Die Kameradschaft bewährt sich

Rekrutin Livia Schneider ist aktuell in der Sanitätsrekrutenschule in Airolo. Ihr Fazit nach wenigen Wochen ist durchwegs positiv. Der Umgang untereinander und auch mit den Kadern sei angenehm und sie merke kaum Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Klar sei bei ihrer Truppengattung der Anteil der Frauen höher als bei anderen Einheiten, dieser Tatsache ist sie sich bewusst. Als eine erste wertvolle Erkenntnis schätzt sie die vielfältige Durchmischung in ihrem Zug. Dank der breiten Fach- und Sozialkompetenz, fänden sie als Team für jede Problemstellung eine gute Lösung. „Wir sind alle sehr schnell zu einer Einheit zusammengerückt, die vielgepriesene Kameradschaft ist wirklich eindrücklich.“

Vision der Vielfalt

Im Januar 2022 wurde mit der Schaffung der Fachstelle Frauen in der Armee und Diversity ein weiterer wichtiger Schritt getan. Diese Fachstelle verfolgt zwei Hauptziele. Einerseits unterstützt sie die Erhöhung des Frauenanteils in der Armee auf zehn Prozent bis 2030. Andererseits fördert sie die Vielfalt und den Einbezug von Minderheiten in der Armee. Die Armeeführung verfolgt eine Nulltoleranz gegenüber jeglicher Form von Diskriminierung. Die Fachstelle richtet sich an alle Angehörigen der Armee, unabhängig von Herkunft, Alter, Geschlecht, Religion oder sexueller Orientierung. Sie ergänzt das bestehende Beratungs- und Betreuungsangebot.

Der Weg zum gleichberechtigten Militärdienst

Die Stellung der Frauen in der Armee entwickelte sich parallel zu den gesellschaftlichen Verhältnissen in der Schweiz des 20. Jahrhunderts. Erst 1971 erhielten die Frauen auf Bundesebene das Stimm- und Wahlrecht. Weitere knapp 20 Jahre mussten sie sich gedulden, bis Appenzell Innerrhoden als letzter Kanton das Frauenstimmrecht auf kantonaler Ebene einführte. Nach der Gründung des Frauenhilfsdienstes dauerte es ebenfalls fast 60 Jahre, bis die Schweizerinnen gleichberechtigten Zugang zu allen Funktionen und Dienstgraden der Armee erhalten sollten.

Obwohl 1981 in der Bundesverfassung der Grundsatz der Gleichstellung von Mann und Frau festgeschrieben wurde, änderte sich in der Realität jedoch anfangs nur wenig. 1984 wurde der Frauenhilfsdienst (FHD) zwar offiziell aufgelöst und durch den Militärischen Frauendienst (MFD) ersetzt. Die neuen Bestimmungen des MFD führten 1986 zudem gleiche Dienstgrade und Funktionsbezeichnungen ein. Entgegen der Gleichberechtigung war den Frauen aber die Ausbildung an der Waffe und das Tragen einer solchen untersagt. Erst 1991 wurde die freiwillige Bewaffnung – allerdings zunächst nur zum Selbstschutz – innerhalb des MFD möglich.

Mit der Auflösung des MFD 1995 wurden auch diese Bestimmungen angepasst. In der Folge war auch für Frauen die Ausbildung am Sturmgewehr möglich. Untersagt blieb den Frauen jedoch weiterhin die explizite Gefechtsausbildung.

Und heute?

Mit dem Übergang zur Armee XXI wurden auch die letzten gesetzlichen Hindernisse für eine Gleichberechtigung in den militärischen Strukturen beseitigt. Seither ist der Dienst mit der Waffe für die freiwillig eingerückten Frauen genauso Pflicht wie für die Männer.

Für einen Dienst ohne Waffe müssen beide, ob Frau oder Mann, ein Gesuch stellen. Damit haben Frauen heute gleichberechtigten Zugang zu allen militärischen Funktionen, wie sie den Männern offenstehen. Heute dienen knapp 1800 Frauen in der Schweizer Armee (Stand: 1. März 2022), davon 473 im Offiziersrang.


Brigadier ausser Dienst Eugénie Pollak hat sich stark für die gemeinsamen Rekrutenschulen eingesetzt. Dank ihrer Hartnäckigkeit konnten sich die Frauen in der Armee weiterentwickeln.

Für Oberst ausser Dienst Sibylle Freudweiler-Haab gab unter anderem die Abstimmung über die Armeeabschaffung von 1989 den Ausschlag, die Anmeldung zur Rekrutierung abzuschicken.

Für Oberst ausser Dienst Sibylle Freudweiler-Haab gab unter anderem die Abstimmung über die Armeeabschaffung von 1989 den Ausschlag, die Anmeldung zur Rekrutierung abzuschicken.

Für Oberst ausser Dienst Sibylle Freudweiler-Haab gab unter anderem die Abstimmung über die Armeeabschaffung von 1989 den Ausschlag, die Anmeldung zur Rekrutierung abzuschicken.

Wachtmeister ausser Dienst Ursula Heuberger (rechts) besitzt eine kleine Schatzkiste mit alten Marschbefehlen, Besuchstagseinladungen und Fotos. Nun möchte auch ihre Tochter in die Rekrutenschule.

Entspannte Gesichter – das Miteinander funktioniert, weil alle ihre Stärken einbringen können.

Militari durante un colloquio
Auf Augenhöhe und mit gegenseitigem Respekt – Tugenden die zeitlos sind.

Titelbild: Gemischte Teams sind heute nicht mehr wegzudenken. Die gemeinsame Ausbildung ab 1993 war ein wichtiger Schritt zu diesem Erfolg.

 

Quelle: Schweizer Armee
Bildquelle: ©VBS/DDPS

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