Einsatz in einer UNO-Mission früher und heute

Einen friedensfördernden Einsatz im Rahmen einer UNO-Mission zu leisten bringt eine Vielzahl von Herausforderungen mit sich.

Diese bieten jedoch zugleich die Möglichkeit einzigartige Erfahrungen im internationalen Kontext zu sammeln.

Im Interview berichten Brigadier Serge Pignat, Kommandant der Mechanisierten Brigade 1 und ehemaliger Militärbeobachter der UNTSO, sowie Hauptmann Andreas Winkelmann, der derzeit in derselben Mission tätig ist, von ihren Erlebnissen.

Was waren Ihre ersten Eindrücke vom Einsatzgebiet?

Br Pignat: Wie bei allen neuen Militärbeobachterinnen und -beobachtern begann mein Einsatz im Jahr 2003 mit einer zentralisierten Ausbildung in Jerusalem im Hauptquartier der UNTSO. Anschliessend war ich für vier Monate auf dem Golan stationiert, bevor ich für die verbleibenden acht Monate in den Süden des Libanons entsendet wurde. Ich erinnere mich, dass ich sofort in eine Umgebung eintauchte, die sich kulturell, historisch, geografisch und sicherheitstechnisch stark von unserer unterscheidet.

Hptm Winkelmann: Aufgrund der angespannten Lage flog ich direkt in den Libanon und absolvierte keine Ausbildung in Jerusalem. Die Eindrücke dort waren entsprechend intensiv. Bereits während des zweiwöchigen Induction Trainings im HQ der Observer Group Lebanon (OGL) liessen mehrmals Explosionen in der unmittelbaren Umgebung das Lehrgebäude erzittern. Ein erster Vorgeschmack auf die Situation, die mich im Einsatzgebiet erwarten würde. Auf dem Weg zur Patrouillenbasis sah ich ein erstes Mal die Auswirkungen des aktuellen Konflikts: von Mörsereinschlägen gekennzeichnete Strassen, zerstörte Häuser und menschenleere Dörfer. Im Camp angekommen, flogen dann wenig später bereits ein erstes Mal Raketen über unsere Köpfe, welche am Horizont vom israelischen Iron Dome abgefangen wurden. Der israelischen Reaktion in Form von Artilleriefeuer konnte ich dann aus dem nächstgelegenen Bunker zuhören. Mittlerweile gehört all dies zu meinem Alltag.

Was waren damals und was sind heute die grössten Herausforderungen im Einsatz?

Br Pignat: Die ersten Monate in Israel waren ziemlich ruhig. Die intensive Präsenz der Verbindungsoffiziere der israelischen Streitkräfte (IDF) bei den Inspektionen ihrer Stellungen und die zahlreichen Einschränkungen bezüglich Beobachtungszeiten und bewilligten Mitteln haben diese Zeit geprägt. Der zweite Teil der Mission war weitaus unruhiger mit zahlreichen Aktionen auf beiden Seiten der Blue Line, die Israel und Libanon trennt. Darunter waren Beschüsse mit Raketen und Panzerfäusten (RPG) durch die Hisbollah sowie die israelischen Reaktionen in Form von Artilleriefeuer oder Einsätzen von Kampfhubschraubern auf Hisbollah-Stellungen, welche recht nahe an UNO-Positionen stattfanden. Die Sicherheit der gesamten Zone wurde damals nur durch zwei Infanteriebataillone aus Ghana und Indien, die Teil der UNO-Mission UNIFIL waren, sichergestellt. Die wenigen gemeinsamen Übungen zur Verstärkung unserer Beobachtungsposten waren ebenso unterhaltsam wie wenig beruhigend. Der ballistische Schutz von Beobachtungsposten, Fahrzeugen und der Militärbeobachterinnen und -beobachter war mehr als rudimentär. Der Zugang zu mehreren kritischen Gebieten wurde uns regelmässig von der Hisbollah verweigert, was in einer recht abschreckenden Form erfolgte. Dass wir ständig einen lokalen Dolmetscher an unserer Seite hatten, war sehr oft von Vorteil, wenn es um das Situationsbewusstsein und Deeskalation ging.

Hptm Winkelmann: Die aktuellen Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit dem laufenden Konflikt. Entlang der Blue Line können wir zurzeit kaum patrouillieren. Die Gefahr durch Minen, Blindgängern oder Sprengfallen ist dort allgegenwärtig. Auch im Rest des Einsatzgebietes gestalten sich unsere operativen Möglichkeiten schwierig. Oft müssen wir Tätigkeiten ab- oder unterbrechen, da in unserer näheren Umgebung Ziele beschossen werden und wir uns in Sicherheit bringen müssen. Weiter erweist sich auch der Kontakt mit der lokalen Bevölkerung als kompliziert. Grössere Teile der Bevölkerung haben ihre Dörfer im Südlibanon verlassen und bei den Zurückgebliebenen verschlechtert sich die Stimmung gegenüber der UNO zunehmend. Die Konsequenz ist, dass auch uns regelmässig der Zugang zu kritischen Gebieten verweigert wird und es vermehrt zu unfreundlichem Verhalten gegenüber Patrouillen kommt. Grundsätzlich sind Peacekeeper in diesem Konflikt aber kein direktes Ziel. Trotzdem besteht das Risiko, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein und leider sind bereits erste Peacekeeper zu Schaden gekommen.

Was war der Grund und Ihre Motivation, dass Sie den Einsatz geleistet haben respektive aktuell leisten?

Hptm Winkelmann: Der Einsatz in der UNTSO ist mein zweites Engagement in der Friedensförderung. Ich war bereits ein Jahr im Kaschmir in der UNMOGIP als Militärbeobachter und Stabsoffizier im Einsatz und habe die Arbeit und Erfahrung dort sehr geschätzt. Vor allem der tägliche Austausch mit der lokalen Bevölkerung und den Offizieren aus aller Welt sowie das äusserst spannende Umfeld waren sehr bereichernd. Einen Folgeeinsatz zu leisten war entsprechend die logische Konsequenz und der Nahe Osten mit all seinen Facetten hat mich schon immer interessiert.

Br Pignat: Als junger Berufsoffizier, der als Klassenlehrer an der Offiziersschule der Artillerie eingesetzt wurde, hatte ich das Bedürfnis meine Erfahrungen durch einen Auslandeinsatz zu ergänzen. Der Nahe Osten mit all seiner historischen, kulturellen, ethnischen, religiösen und politischen Komplexität erschien mir als eine naheliegende Wahl.

Welche Erfahrungen haben Sie aus dem Einsatz mit nach Hause genommen oder werden Sie mit nach Hause nehmen?

Br Pignat: Die internationalen Kontakte bei solchen Einsätzen sind unglaublich bereichernd. Ich habe auch heute noch Kontakt zu Kameraden in allen Ecken der Welt. Ebenfalls aus dem Einsatz mitgenommen habe ich die Überzeugung, dass SWISSINT unseren Militärbeobachterinnen und -beobachtern eine gute Ausbildung und Ausrüstung zur Verfügung stellt und unsere Offiziere aufgrund ihrer Ausbildung, ihrer Fähigkeiten und ihrer Einstellung den Vergleich im internationalen Einsatz nicht zu scheuen brauchen.

Hptm Winkelmann: Militärisch nehme ich vor allem mit, wie unglaublich wichtig es ist, sein Einsatzgebiet wie seine Hosentasche zu kennen. In einem so unberechenbaren Umfeld muss man Entscheidungen innerhalb von wenigen Sekunden treffen können: Zeit, um sich auf einer Karte zu orientieren, hat man keine und technische Hilfsmittel sind aufgrund der Störsender praktisch unbrauchbar. Man muss zu jedem Zeitpunkt genau wissen, wo der nächste sichere Stützpunkt respektive im äussersten Fall die nächste medizinische Einrichtung ist. Auch das ständige Training von Abläufen ist wichtig, da diese Fähigkeiten im Ernstfall sitzen müssen. Als Milizoffizier ist es zudem schön zu sehen, dass wir uns auch im Vergleich mit internationalen Berufsoffizieren nicht verstecken müssen. Schweizer Offiziere werden in internationalen Missionen durch ihre Fähigkeiten und ihre Professionalität sehr geschätzt. Unsere Erfahrung im zivilen Bereich, sollte auch im militärischen Umfeld nicht unterschätzt werden.

Wie ist Ihre Ausbildung für den Einsatz abgelaufen?

Hptm Winkelmann: Vor dem Einsatz durchlief ich bei SWISSINT in Stans-Oberdorf den Swiss United Nations Military Observer Course (SUNMOC), der mich umfassend auf die Arbeit als Militärbeobachter vorbereitete. Danach folgten einsatzspezifische Vorbereitungskurse und Fahrausbildungen. Im Missionsgebiet wird man schliesslich direkt im Feld durch erfahrene Militärbeobachter ausgebildet.

Br Pignat: Nach dem erfolgreichen Abschluss des Auswahlverfahrens absolvierte ich den vierwöchigen SUNMOC, der damals noch in Bière durchgeführt wurde. Nachdem anschliessend die Funktion und Region zugeteilt wurde, folgte vor der Entsendung der Einsatzvorbereitungskurs damals in Muri.

Brigadier Pignat, gibt es etwas, was Sie dem jungen Kameraden, der aktuell im Einsatz steht, mitgeben möchten?

Der Konflikt im Nahen Osten gilt es in seiner gesamten Komplexität zu verstehen und, wie beispielsweise im Hochgebirge, ist auf die eigene Intuition zu hören. Schieben Sie ausserdem gewisse Momente der Frustration gegenüber dem Gesamtsystem beiseite und leisten Sie weiterhin Ihren bestmöglichen Einsatz. Stay safe!


Seit 1990 beteiligt sich die Schweizer Armee an der UNTSO im Nahen Osten. 

 

Quelle: Schweizer Armee
Bildquelle: Schweizer Armee / © SWISSINT